1750 AD. Im Kontinent herrscht wieder mal Krieg, und das schon seit zehn Jahre. Im inneren Wanka kämpft ein vom preussischen Haus Hohenzentner geführten Bündnis gegen die christliche Sylver, die Anfang des Jahrhunderts ins Land eindrangen, grosse Gebiete unter ihrem Joch brachten und fast bis zur Leine vorpreschten.
Westlich der Kriegsparteien wurde das Geschehen im Osten sorgsam befolgt. Zehn Jahre lang blieb das Schwabenreich neutral, zehn Jahre lang wurden Waffen und Söldner an beide Seiten verkauft. Das oberflächlich starkes Imperium war intern zersplittert; der Kaiser hatte zwar ein reiches, mächtiges Reich, musste aber die Wünsche der vielen Kurfürsten und Herzöge und Grafen respektieren. Und die konnten sich nicht einigen, auf welche Seite sie treten wollten. Es gab religiöse Spalten, eine Debatte über Finanzen und wütende Untertanen, die mit ihren Verhältnissen in den zunehmend industriellen Wirtschaft nicht zufrieden waren. Dazu kamen noch machtgierige, potenzielle Thronfolger.
Wozu es auch in der Geschichte geht. Denn der regierende Kaiser Konrad, heute schon im Alter von 60, hinterliess keine männlichen Nachfolger. Er hatte drei Töchter, die älteste von ihnen, Prinzessin Maria Anna von Saale-Staufen. Völkische Traditionen ordneten an, dass die (früheren) Stammeshäuptlinge, jetzt der Adel, männlich sein musste. Die Prinzessin wollte das ändern. Zudem hasste sie die spanischsprechende Sylver wie die Pest und wollte ironischerweise das Reich zurück zur traditionellen Kultur und Glauben führen. Ohne das ganze Frauen-dürfen-nicht-ans-Thron, natürlich.
Mit der Zeit bildete sich ein heftiger Streit, dass drohte, das Reich zusammenbrechen zu lassen. Es verkörperte fast alle Probleme zwischen den regierenden Elite. Nahe an der wankschen Küste lag eine Insel, durchaus eine wichtige. Um den Golf von Wanka militärisch zu beherrschen und auch den Handel regeln zu können, musste einem die Insel gehören. Ausserdem war es selbstverständlich ein natürlicher Stützpunkt für die Verteidigung der wankschen Küste und wegen den häufigen Überfällen der Gallischen Wikinger wurde die Insel in eine unbezwingbare Zitadelle aufgebaut.
Wie es auch später benannt wurde- einfach als die Zitadelle. Der herrschende Fürst war ein Nachfahre eines berühmten Ritters der einst selbstständig die Wikingerüberfälle beendet hatte. Heute regelte er den lebhaften Handel und sicherte den Golf. Keine einfache Aufgabe, doch seine Leistungen waren überragend. Und sein Fürstentum war stinkreich, denn die Insel war ein wichtiger Handelsknoten. Durch ihn wurde die Industrielle Revolution eingeleitet.
Da die wirtschaftliche Lage der inneren Gebiete, unter anderem um Saale, schlechter war, forderte die Prinzessin ihrem Vater auf, den Fürst erhöht zu versteuern um ihre Städte (und sich selbst) zu unterstützen. Der Zorn des Fürsten war zu verstehen. Um diese zwei spaltete sich das Reich ab und ein Krieg, besonders nach dem Tod des Kaisers, schien unvermeidbar.
Schloss Mollwitz
Kronstadt
10. März, 1750
“Zum Wohl, eure Majestät.” Die Gläser stiessen an, und die beiden lehnten sich zurück, genossen den Anblick des dunklen, klaren Himmels. “Zum Wohle des Reiches, und ihrer Gesundheit.” Philipp von Wiesbaden, ein bärenstarker Mann der für seine Schwertkunst in ganz Wanka berühmt war, trank sein Glas leer, schaute zu, wie der Kaiser einen Schluck trank.
“Mit meiner Gesundheit, na, das wird nichts.” meinte Kaiser Konrad etwas melancholisch. “Aber jedes Leben findet sein Ende, sogar meines- darum kann ich keine Sorgen machen. Ich bin ja schon sechzig. Wissen Sie, was mir wichtiger ist?”
Diesen Abend hatte der Kaiserhof wieder mal eine ganze Schar von Gäste zu Besuch, wieso, das hatte der Fürst von Wiesbaden und Stuegert auch schon vergessen. Es brauchte kein Genie, um festzustellen, dass das kaiserliche Weinlager erheblich erleichtert geworden war.
“Maria Anna von Saale-Staufen, ihre Tochter?” antwortete der Fürst.
Der Kaiser sagte: “Das auch. Aber ich habe das Reich gemeint.”
Er versuchte sich zu konzentrieren. “Sie wissen, dass ich die alte Reichsrepublik wieder errichten will. Ein Tausendjähriger Staat, dem alle unsre Völker zugehören.”
Damit meinte er die Schwäbische Reichsrepublik, nachdem das jetzige Kaiserreich benannt war. Das vor 1000 Jahren zuletzt existierte. Damals ein wankscher Superstaat, der fünf Jahrzehnte lang die Region beherrschte.
Der Kaiser fuhr fort. “Doch wie ich es sehe, scheint es unmöglich. Sicherlich nicht zu meinen Lebzeiten. Im Gegenteil, ich blicke in eine fürchterliche Zukunft, ein tiefer Abgrund.” Es wurde Still. Der Fürst füllte ihre Gläser wieder auf.
“Ich will, dass meine Tochter das Reich erbt. Aber der Streit zwischen dem Fürst von Soldau und meine liebe Prinzessin ist für das Reich tödlich…”
“Eure Majestät!” Der Fürst schien überrascht. “Darf ich erinnern? Die beiden haben sich schon längst versöhnt!”
Der Kaiser guckte ihn zuerst eine Sekunde lang blöd an, als sein altes Gehirn das alles verarbeitete. Von einem Moment zum nächsten war er zuerst verdutzt, dann ungläubig, doch als sein alter Freund ihn mit einem besorgten Blick fixierte, wurde er auf einmal glücklich. Wie ein besoffener glücklich sein konnte. Er gluckste wahrhaftig vor Freude.
“Eure Majestät…” Fürst Philipp versuchte ihn zu beruhigen.
“Ich werde alt, mein Lieber, ich werde alt.” Der Kaiser leerte sein Glas. “Natürlich, ich werde alt. Da vergisst man ja alles, ist nicht das erste Mal. Aber was soll’s, jetzt ist ja alles gut…”
“Dann wird ihre Tochter das Reich erben?” fragte der Fürst von Wiesbaden. Aufmerksam beobachtete er, wie der Kaiser sein Glas nochmals auffüllte. Wie der trinken konnte…
“Natürlich, natürlich! Sie wird die erste Kaiserin sein! In unserer ganzen Geschichte!” Er war stolz wie nur ein besoffener stolz sein konnte. Seine Wangen glühten.
Der Fürst von Wiesbaden sagte: “Dann muss eure Majestät ihr Testament ändern.”
“Och, dies ganze Bürokratie… aber ja, hast Recht, mein Lieber…”
“Das ist kein Problem, eure Majestät, ich hab’s in der Hand.” antwortete der Fürst von Wiesbaden, und zog ein Bündel Papiere aus seiner Tasche. “Euer Wohlgeborenen müssen nur hier… und hier unterschreiben, alles ist dann erledigt…”
“Phantastisch, mein lieber Freund, phantastisch. Endlich versteht jemand ja den alten Kaiser.”
Mit wackeliger Handschrift unterschrieb er, und plötzlich war die Prinzessin Maria Anna zur Kronprinzessin geworden. Der Kaiser hatte geplant, sein Reich an seinen nächsten Cousin, der Fürst von Schlesien, zu erben. Er hatte Erfahrung und war im inneren Streit zwischen den Fürst von Soldau und die Prinzessin unbeteiligt, doch war er dem Fürsten etwas näher. Jedoch war es jetzt anders.
Der Fürst von Wiesbaden sammelte die Papiere, stand auf und verbeugte sich.
“Eure Majestät, wenn Sie mich entschuldigen; ich muss zurück zu meiner Burg, meine Leut warten.”
Der Kaiser nickte, immer noch zufrieden. Dann setzte der Fürst von Wiesbaden seinen Gürtel mit Schwert auf und verliess das kaiserliche Schloss und Kronstadt im Galopp. Er hatte noch vieles zu tun.